Newsletter April 2015

Tagung „Meditation in Ost und West“ – Kolloquium „Anthroposophische Meditation und akademische Meditationsforschung“ – Meditation im Kino – Rezension zu „Die Chakren – Sinnesorgane der Seele“ – Neue Facette von Andreas Meyer – Umschau auf Veröffentlichungen und Veranstaltungen.
Von Anna-Katharina Dehmelt und Terje Sparby.

Die Tagung „Meditation in Ost und West – Buddhismus und Anthroposophie im Gespräch“ war ein festliches Ereignis der Begegnung verschiedener Meditationsansätze und vor allem der Menschen, die sie praktizieren. Viele von ihnen haben die Gelegenheit genutzt, die ihnen bisher fremdere Richtung etwas besser kennen- und verstehen zu lernen. Das hat dazu beigetragen, dass die verschiedenen Ansätze immer weniger als sich gegenseitig ausschließend und immer mehr als sich ergänzende wahrgenommen werden.
Andreas Neider hat von der Tagung in den Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit berichtet und dabei gleich zur nächsten Tagung vom 26. bis 28. Februar 2016 zum Thema „Meditation in Ost und West – Ich und Nicht-Ich“ eingeladen. Terje Sparby hat im Aprilheft von Die Drei berichtet und sehr differenziert die Vielfalt buddhistischer Ansätze und ihr Verhältnis zur anthroposophischen Praxis aufgezeigt (sein Bericht kann online für 3,- Euro gekauft werden), und Christoph Hueck endet seinen Bericht im Aprilheft von Info3 mit der vielleicht etwas zugespitzten Feststellung, „dass der Buddhismus auf zweieinhalb tausend Jahre Geschichte zurückblickt, während anthroposophische Meditation und Schulung nach 100 Jahren erst allmählich erschlossen wird“.
Der Bericht von Terje Sparby hat die Aufmerksamkeit des Portals „Buddhaland“ erweckt. Unter den verschiedenen Diskussionsbeiträgen finden sich auch Äußerungen wie „Ich finde es interessant, wie die Anthroposophie sich verbiegen wird, um den Buddhismus zu vereinnahmen“ oder „Ich sehe im Institut für anthroposophische Meditation einen Weg der Vermarktung der Anthroposophie, in dem man sich an die Achtsamkeitsbewegung anhängt, denn das Interesse an der Anthroposophie ist ja rückläufig.“ Solches liest man denn doch mit Erstaunen. Immerhin zitiert dann ein aufmerksamer Leser aus dem Flyer der Tagung, dass es weniger um „das Bekräftigen von vermeintlichen Übereinstimmungen als ein deutliches Bewusstsein der Differenzen zwischen Buddhismus und Anthroposophie“ gehen sollte.
In diesem Sinne hat Anna-Katharina Dehmelt in ihrem Ko-Referat zu dem Beitrag von Michael von Brück den Ausgangspunkt der anthroposophischen Meditation in der denkenden Individualität betont. Die Grundgedanken ihres Beitrages finden sich auch in ihrem Aufsatz „‚Alles in der Welt ist bewusst‘. Anthroposophische Meditation als Weg zur Erforschung des Bewusstseins.

Ebenfalls im März fand das sechste Kolloquium „Anthroposophische Meditation und akademische Meditationsforschung“ im Rahmen des Instituts für anthroposophische Meditation statt. Die mitwirkenden Anthroposophen gaben je eine Kurzdarstellung zu den Gründen und Eigenarten ihrer anthroposophischen Meditationspraxis – Aufgabe war, die Besonderheit anthroposophischer Meditation durch die konkreten Erfahrungen in den Blick zu bekommen. Die verschiedenen Beiträge, die sehr individuell waren, hatten doch eine Reihe gemeinsamer Aspekte, die sich so zusammenfassen lassen: „Die bewusste Erfahrung des denkenden Ichs ist der Ausgangspunkt einer anthroposophischen Meditation. In diesem Bewusstseinsraum kann der Inhalt einer Meditation aufblühen. Im Halten und Erleben dieses aufblühenden Inhaltes entsteht Sinn, der ergriffen bzw. gestiftet wird und bis zu einer nondualen Sinn- bzw. Einheits- und Einweihungserfahrung gesteigert werden. Dabei weitet sich das Ich, und in das (denkende) Bewusstsein integrieren sich auf höherer Ebene mehr und mehr auch Fühlen und Wollen.  Der eigentlichen Meditation gehen Übungen zur Erfassung des Ich selbst voraus, und die Meditation kann Grundlage werden für geistige Forschung.“

Meditation im Kino – das ist noch relativ neu, insbesondere wenn nicht nur beiläufig meditiert wird, sondern Meditation das Thema des Films ist. „Stopping – Wie man die Welt anhält – Wege zur Meditation“ startete am 26. Februar in den deutschen Kinos. Der Film begleitet vier Personen zu ihren Meditationskursen, in denen sie Vipassana- und Zen-Meditation lernen, einen MBSR-Kurs nach Jon Kabat-Zinn besuchen und an den Quellhof fahren zu einem Kurs mit Thomas Mayer und Agnes Hardorp in anthroposophischer Meditation. Die Gruppe beschäftigt sich in diesem Kurs unter anderem mit einem Stein, und die Erfahrung, die Welt und den Alltag als beseelt zu erleben, wird als Besonderheit anthroposophischer Meditation deutlich. Man bekommt von den verschiedenen Ansätzen durchaus einen plastischen Eindruck, weil auch die Kurs- und Meditationshäuser und die dort jeweils Lehrenden gezeigt werden.
Während sich „Stopping“ in erster Linie an Menschen wendet, die bereits ein erstes Interesse an Meditation entwickelt haben, geht „From Business to Being“ davon aus, dass es „in unserer Gesellschaft eine Überinterpretation der Leistung und eine Unterbetonung des Seins“ gibt, wie die Neurowissenschaftlerin Tania Singer es formuliert. „Gute Führung heisst, in sich zu ruhen“, so Rudi Ballreich, der die Entstehung des Films begleitet hat und Gesprächspartner eines der drei Protagonisten mit der Frage „Wie will ich leben und arbeiten?“ ist. Dabei spielt Meditation eine Rolle, aber auch Coaching und das Nachdenken über die (Wirtschafts)-Welt. Zu Wort kommen unter anderem Friedrich Glasl, Claus Otto Scharmer, Götz Werner und Arthur Zajonc, die alle von der Anthroposophie inspiriert sind, was aber vor allem in der originellen und eigenständigen Art ihres Umgangs mit den angesprochenen Fragen zum Ausdruck kommt.
„From Business to Being“ war bereits vorab vereinzelt zu sehen, zum Beispiel auf der Ost-West-Tagung im März in Stuttgart, die offizielle Premiere wird aber erst am 10. Mai auf dem Filmfest in München sein. Beide Filme wird es mittelfristig sicherlich auch als DVD geben.
Die Bildsprache der Filme ist ähnlich, neben den Menschen zeigen sie vor allem Natur: als wogenden Baum, plätschernden Bach oder beeindruckende Alpenkulisse mit stets blauem Himmel, in dem manchmal ein Vogel kreist. Bei „From Business to Being“ gibt es zwischendurch gelegentliche Kamerafahrten durch Hochhauslandschaften. Wenn sich auch beide Filme bemühen, ihr Thema ruhig und achtsam anzugehen, ist man am Ende doch abgefüllt mit einer Menge an Inhalt und an Eindrücken. Man darf gespannt sein, wie sich das Medium Film für das Thema Meditation bewähren wird.

Kürzlich neu erschienen ist in der Reihe „Die kleinen Begleiter“ des Rudolf Steiners Verlags die von Andreas Neider herausgegebene Zusammenstellungen „Die Chakren – Sinnesorgane der Seele“. Hier eine kleine Rezension:
Für das Wahrnehmen der uns umgebenen Welt haben wir unsere Sinnesorgane. Womit nehmen wir die tieferen Schichten der Wirklichkeit wahr, ihre Kraft, ihren Sinn, ihre Wesenhaftigkeit? Steiner hat hier zunächst zum Denken gegriffen und es in seiner „Philosophie der Freiheit“ als produktives Wahrnehmungsorgan für die wahre Wirklichkeit beschrieben. Mit seiner Tätigkeit in der Theosophischen Gesellschaft hat er sich deren Ausdrucksformen für seine Anschauungen bedient und in seinem Schulungsweg-Erstling „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ an die östliche Anschauung von den Chakren angeknüpft. Bei ihm werden sie zu differenzierten Wahrnehmungsorganen, die auch differenziert ausgebildet werden können. Er hat den einzelnen (nicht allen) Chakren verschiedene, zumeist ebenfalls aus der östlichen Spiritualität bekannte Übungen zugeordnet, die neben den eigentlichen Meditationen zu einer gesunden Ausbildung der Chakren beitragen. Weil sie das ‚neben‘ den eigentlichen Meditationen tun, wurden diese Übungen von Steiner und bis heute oft „Nebenübungen“ genannt.
Der neue, von Andreas Neider herausgegebene Band „Die Chakren – Sinnesorgane der Seele“ enthält Steiners diesbezügliche Ausführungen und noch vieles mehr. Wie schon in dem Vorgängerband „Andacht und Achtsamkeit“ stellt Neider die (Neben-)Übungen zur Ausbildung der Chakren als Achtsamkeitspraxis dar, wenn auch zur buddhistischen Achtsamkeitsschulung doch starke Unterschiede bestehen.
Der Band macht deutlich, wie Steiner im weiteren Umgang mit dem Thema der Chakren immer stärker die rein seelische Wirksamkeit der Chakren betont, die es eigentlich nur im Moment ihrer Betätigung gibt. Die heute oft vorherrschende Auffassung von den Chakren als energetischen Kraftpunkten lag Steiner fern – erstaunlicherweise hat er auch da, wo man eine solche Betrachtung eigentlich erwarten könnte, nämlich bei der Begründung der anthroposophischen Medizin und insbesondere der Heileurythmie, die Chakren nicht berücksichtigt. Hinsichtlich der mit Steiners Darstellung der Chakren verbundenen Frage, wie die anthroposophische Schulung des übersinnlichen Wahrnehmens sich auf den energetischen Bereich des übenden Menschen auswirkt bzw. welche Vorkehrungen getroffen werden müssen, damit in diesem Bereich keine Probleme auftreten, enthält der interessante und aufschlussreiche Band in der Einleitung und in den Anmerkungen einige Anregungen, die aber im Moment noch auf eine gründlichere und besser verständlichere Ausarbeitung warten.
Vor allem nach seiner Trennung von der Theosophischen Gesellschaft hat Steiner von den Chakren als Sinnesorganen der Seele nur noch in Einzelfällen und vermutlich im Zusammenhang mit bestimmten Fragen aus seinem Umkreis gesprochen. Stattdessen wird in seinen Schilderungen immer mehr und in Anknüpfung an Goethe die ganze Seele mit ihrem Denken, Fühlen und Wollen zur Grundlage einer Entwicklung von Organen für übersinnliches Wahrnehmen. Die Zusammenstellung enthält Passagen, in denen sich der konzeptionelle Übergang von den Chakren zu Imagination, Inspiration und Intuition als Verwandlungsprodukten aus Denken, Fühlen und Wollen beobachten lässt. Das sind interessante Passagen, weil man darin Steiner beim Forschen quasi zuschauen kann. Sie zeigen auch, wie er die in „Wie erlangt man“ angelegte Chakrenlehre – auf die er immer wieder verwiesen hat – in eine viel weiter gefasste Lehre übersinnlicher Wahrnehmung und Forschung überführt.

Im Newsletter vom Dezember 2014 haben wir von dem Kolloquium „Yoga und Anthroposophie“ in Mannheim berichtet. Der Beitrag von Florian Heinzmann, in dem er sich mit dem Verhältnis zwischen Yoga und Steiners „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ beschäftigte, wird nun in verkürzter Form unter der Überschrift „Keine Angst vor Yoga“ im Mai-Heft von Info 3 erscheinen. Ab Mitte Mai wird er auch online zugänglich sein.

Wir freuen uns, Sie auf eine neue Facette hinweisen zu können: Andreas Meyer hat sich mit den Ablenkungen beschäftigt, die beim Meditieren unvermeidlich auftreten. Vielen Dank dafür! Vom gleichen Autor stammt nun endlich auch eine Rezension des wichtigen Buches „Gehirn und menschliches Bewusstsein“ von Johannes Wagemann in Die Drei 4/2015. Und zudem hat er noch eine Serie „Schritte zu innerem Wachstum“ in Info 3 begonnen, deren erster Beitrag „Die Verabredung mit sich selbst“ betrifft.

Zum Schluss noch eine kleine Umschau auf Veröffentlichungen und Veranstaltungen (bitte werfen Sie auch einen Blick in den Veranstaltungskalender):

Die Goetheanum Meditation Initiative hat eine neue Website.
Corinna Gleide hat in ihrem Aufsatz „Der Schulungsweg als Ich-Prozess“ einen oft vernachlässigten Schwerpunkt gesetzt, indem sie die autobiographischen Aspekte und die Auseinandersetzung mit dem Doppelgänger stärker als sonst üblich einbezogen hat. Christoph Hueck hat mit „Geistige Wahrnehmung – Einheit von Produktivität und Empfänglichkeit“ einen Monat später daran angeknüpft.
Von Fritz Hemmerich ist mit „Hervor aus dem dunklen Spiegel!“ ein ganz besonderes Meditationsbüchlein erschienen. Drei längere Texte in gestalteter Sprache werden zu Grundlage einer Meditation von Karfreitag über Karsamstag zu Ostern. Doch ist damit eigentlich jeder Tag, jeder Morgen gemeint. Die Meditation wird durch Jahre im Eridanos-Zentrum auf Teneriffa praktiziert.
In „Herzdenken – Über inspiratives Erkennen“ trägt Martina Maria Sam Steiners Aussagen zur Ausbildung der Inspiration zusammen, und zwar vor allem im Hinblick auf die Erziehung der Gefühle. Dabei arbeitet sie einen Grundzug heraus, der alle Übungen zur Erlangung der Inspiration kennzeichnet: „das Wegschaffen subjektiv-persönlicher, aus dem natürlichen Menschen aufsteigender Gefühlselemente einerseits und das bewusste Erzeugen und Pflegen gewissermaßen objektiver, sich aus der der Sache ergebender Gefühle andererseits.“
Das Büchlein kann auch zur Vorbereitung auf das Kolloquium „Imagination und Inspiration – Unterschiede und Übergänge“ in Stuttgart 1. Mai dienen.
Auch das 2nd European Summer Research Institute des Mind & Life Instituts auf der Fraueninsel im Chiemsee verspricht mit vielen namhaften Referenten – und wieder ohne anthroposophische Beteiligung – interessant zu werden.

Wenn das alles zu viel wird, gibt es auf der Sommertagung „Alltag und Meditation“ in Zürich Unterstützung und Gelegenheit, um zur Ruhe zu kommen. Und das wünschen wir Ihnen unbedingt!

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