Anthroposophische Meditation und akademische Meditationsforschung
Am 18. Oktober 2012 hat in Frankfurt das erste Kolloquium des Instituts für anthroposophische Meditation mit der Überschrift „Anthroposophische Meditation und akademische Meditationsforschung“ stattgefunden. Es war von Markus Buchmann, Anna-Katharina Dehmelt und Johannes Wagemann vorbereitet worden im Bestreben, die anthroposophische Meditation ins Gespräch zu bringen mit dem akademischen Diskurs über Meditation, in dem die anthroposophische Meditation bisher unberücksichtigt geblieben ist.
Zusammengekommen waren 13 Menschen aus ganz unterschiedlichen Richtungen: solche die ihren Ausgangspunkt für ihre Meditationspraxis in der Philosophie und im philosophischen Denken finden und solche, die von der Naturwissenschaft und der Natur ausgehen, Menschen, die ihre tiefsten Meditationserfahrungen Rudolf Steiner verdanken und Menschen, deren Ausgangspunkt mehr in der östlichen Meditation liegt, Schüler von Herbert Witzenmann, Georg Kühlewind, Frank Teichmann oder Heinz Zimmermann. Ulrich Ott, dem Gießener Meditationsforscher und Yoga-Lehrer, fiel in der ausführlichen Vorstellungsrunde der Einbezug von Erkenntnis als allen gemeinsames Merkal auf: Meditation erweitert die Erkenntnisgrenzen und führt zu inhaltlichen Erfahrungen. Eine schöne Charakteristik der anthroposophischen Meditation!
In seinem Grundlagenreferat schilderte dann Johannes Wagemann die Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung im Erkenntnisprozess zwischen Begriff und Wahrnehmung. Im Pendeln zwischen der enthaltsamen Zuwendung zur einzelnen Wahrnehmung auf der einen Seite und der produzierenden Hingabe an den Begriff in innerer Zusammenhänglichkeit auf der anderen Seite liegen die beiden Grundformen fokussierender und loslassender Meditation, ja, die Meditation macht diesen in jedem Erkenntnisakt liegenden und die Subjekt-Objekt-Spaltung eigentlich hervorbringenden Pendelschlag erst bewusst. Auf dieser Grundlage entwickelte Johannes Wagemann eine Übersicht über verschiedene Übungs- und Meditationsansätze innerhalb und außerhalb der Anthroposophie. Und er zeigte auf, wie darauf aufbauend die höheren Erkenntnisstufen Imagination, Inspiration und Intuition beschrieben werden können. Sein Beitrag wird voraussichtlich im Februar 2013 in der Monatszeitschrift „Die Drei“ www.DieDrei.org erscheinen.
Das anschließende Gespräch richtete sich insbesondere auf Fragen der Anschlussfähigkeit von (anthroposophischer) Meditationspraxis an den akademischen Diskurs über das Wesen des Bewußtseins und das Ich. Eindrücklich wurde beschrieben, wie die diesbezügliche Forschung seit Jahrzehnten an einer Grenze steht, nahezu nicht weiterkommt und zugleich doch immer wieder an diese Grenze zurückkehrt. Mittlerweile sind sehr ausgefeilte Techniken der Selbstbeobachtung entwickelt, in denen, wenn die Methodik offengelegt wird, durchaus individuelle Erfahrungen imaginativer, inspirativer und intuitver Bewußtseinszustände beschrieben werden könnten. Das könnte einerseits begleitet werden durch Messungen der jeweils parallel laufenden Gehirntätigkeit und andererseits durch Beschreibung von in diesen Bewußtseinszuständen auftretenden inhaltlichen Erfahrungen, wozu auch Schwellenerfahrungen, Ohnmachts- oder dämonische Erlebnisse gehören können.
Dank ihrer Einbettung in die weitreichende begriffliche Fassung der Anthroposophie ist die anthroposophische Meditation geeignet, solche breit gestreuten Forschungsfragen aufzugreifen. Hindernd steht dem zunächst entgegen, dass es zwar viele verschiedene Richtungen, kaum aber eine allgemeingültige Darstellung anthroposophischer Meditation gibt. Für ein nächstes im Mai 2013 stattfindendes Treffen wurde deshalb ins Auge gefasst, gemeinsam in elementare Meditationsübungen einzusteigen und diese unter übergreifenden Gesichtspunkten wie etwa den Aktivitätsformen FA und OM oder der Gliederung nach Imagination, Inspiration und Intuition zu beschreiben. So könnte durch die Beschreibung verschiedener solcher Übungen der Blick auf ein allen gemeinsames Urbild freigelegt werden. Daraus soll dann zum einen ein Sammelband entstehen, der die Forschungsstandards akademischer Forschung beachtet und zur Basis weiterer Untersuchungen im akademischen Umfeld werden könnte, und zum anderen eine Anleitung in geschriebener oder vielleicht auch auf CD gesprochener Form, die voraussetzungslos, allgemeinverständlich und fundiert in die anthroposophische Meditation einführt.
Eigene Erfahrung ersetzt Dogmatik – dass wir in anthroposophischen Kreisen noch auf dem Wege dorthin sind, war während des zweiten Kolloquiums „Anthroposophische Meditation und akademische Meditationsforschung“ des Instituts für anthroposophische Meditation am 25.5.2013 zu erleben. Ulrich Ott jedenfalls spiegelte uns am Ende dieses Tages unsere Insider-Sprache und manch implizite und unhinterfragte Voraussetzung. Nichtsdestotrotz sind wir einen großen Schritt vorangekommen. Die 14 Anwesenden – denkbar verschiedenste Individualitäten, die sich in ganz unterschiedlicher Weise auf Steiner und die Anthroposophie beziehen – hatten sich am Beginn des Tages unter der Anleitung von Wolfgang Tomaschitz mit der philosophischen Bewusstseinsforschung auseinandergesetzt, mit dem Problem der aus den Gehirnprozessen nicht erklärbaren Bewusstseins-Innenerfahrung, dem sogenannten Qualia-Problem. Im weiteren haben wir dann unter der Anleitung von Johannes Wagemann, Anna-Katharina Dehmelt, Markus Buchmann und Uwe Mos verschiedene, zum Teil erheblich vereinfachte oder weiterentwickelte Übungsansätze Steiners durchgeführt und beleuchtet. Wie stellt sich das Qualia-Problem dar, wenn danach im geschulten Bewusstsein gefragt wird? Sind Steiners Übungen zur Imagination nicht geradezu Anleitungen, die intentionale Struktur von Bewusstsein erfahrbar und dann eventuell sogar messbar zu machen? Wie verhalten sich in diesen Übungen offenes Gewahrsein und fokussierte Aufmerksamkeit, wo kündigen sich die Bewusstseinsstufen Imagination, Inspiration und Intuition an? Die Frage nach dem Bewusstsein, wie sie kurz nach unserem Kolloquium auch an anderen Orten gestellt wurde, scheint eine Anschlussstelle zu sein, in die sich die anthroposophische Meditation unmittelbar hineinschmiegen lässt. Hier könnte ein Weg liegen, anthroposophische Meditation und akademische Forschung miteinander ins Gespräch zu bringen, letztere vielleicht bereichernd, erstere im Übergang von Dogmatik zu eigener Erfahrung unterstützend. In dieser Richtung wird weiter gearbeitet.
Am 8. Oktober 2014 fand in Frankfurt das mittlerweile fünfte Kolloquium „Anthroposophische Meditation und akademische Meditationsforschung“ statt. Nachdem die ersten Kolloquien vor allem der Beschäftigung mit verschiedenen anthroposophischen Meditationen dienten und die Frage im Vordergrund stand, unter welchen Gesichtspunkten diese Übungen für eine akademische Meditationsforschung ergiebig sein könnten, wurde beim letzten Mal der Spieß umgedreht. Ulrich Ott, selber auch Yoga-Lehrer, und einer seiner Studenten leiteten eine Reihe von Meditationen an: zunächst für den Körper, das Sitzen betreffend, dann für die vitale Ebene über den Atem und eine Meditation des Mitgefühls für die emotionale Schicht. Für die mentale Ebene ging es um Achtsamkeit und die Beruhigung des Denkens (‚mind‘) und im Motiv des Lichtes wurde ein spiritueller Inhalt bewegt.
Eine der anschließenden Fragestellungen richtete sich auf die Einbeziehung des Körpers in die Meditation. Manche empfanden diese Einbeziehung eher als hinderlich für die eigentliche Meditation, andere erlebten sie als Unterstützung. Für die einen war der Körper Ausgangspunkt der inneren Arbeit, für die anderen schlug sich die innere Arbeit im Körper nieder.
Einigkeit konnte nicht hergestellt werden – zu unscharf ist das Verhältnis zwischen Meditation und Körper und zu ungeklärt auch das Ideal der Leibfreiheit in der Anthroposophie. Ganz anders ist das in der akademischen Meditationsforschung, wo gerade die Atem- und Körpermeditationen bestens erforscht sind, zum einen, weil es hier etwas Eindeutiges zu messen gibt, zum anderen, weil sie weltanschauungsfrei im klinischen Bereich in großer Zahl durchgeführt und untersucht werden.
Im Gespräch wurde auch die Frage nach der Bedeutung des Denkens bewegt. Während in der östlich orientierten Meditation das Denken entspannt und losgelassen werden soll, ist es in der anthroposophischen Meditation gerade der Ausgangspunkt. Aber handelt es sich hierbei überhaupt um das selbe Denken? Was ja losgelassen werden soll, ist das von allein laufende assoziative und die Welt und ihre Dinge mit Urteilen belegende Denken. Das Denken, das bei Steiner zum Ausgangspunkt der Meditation wird, ist aber gerade nicht dieses automatisierte Denken, sondern ein vom Ich aktiv ergriffenes.
In den Pausen wurden kleine Geräte ausprobiert, die beim Meditieren die Stärke der Gehirnströme, die Aktivität der Schweißdrüsen sowie Herzschlag und Puls messen und damit Indizien für die Stärke von Konzentration und Loslassen bereitstellen. Dass in kleinen Meditationen auch bei den Anthroposophen deutliche Veränderungen gemessen wurden, verbreitete Erleichterung und Heiterkeit.
Beim nächsten Mal werden wieder die anthroposophischen Meditationsforscher am Zuge sein: sie werden in jeweils 15 Minuten möglichst voraussetzungslos begründen, warum sie gerade so meditieren, wie sie es tun.
Weiterhin werden zur Fortsetzung und Erweiterung dieser Arbeit Sponsoren gesucht!