Newsletter April

„Strukturmerkmale anthroposophischer Meditation“ von Johannes Wagemann – „Die Himmelsleiter des Erkennens“ von Anton Kimpfler – Vom Bewusstsein, vom Selbst und vom Nicht-Selbst – Crossovers in Basel und Interlaken – Tagungen mit anthroposophischer Meditation in Dornach, Berlin und Zürich – Wochensprüche eingesprochen – Georg Kühlewind zu Meditation und Demut. Von Anna-Katharina Dehmelt und Terje Sparby —

Nach dem viel beachteten Artikel von Johannes Wagemann über Focused Attention und Open Monitoring als Grundstruktur jeder Meditation ist nun ein weiterer Aufsatz von ihm im Aprilheft der Monatszeitschrift Die Drei erschienen: Strukturmerkmale anthroposophischer Meditation. Es handelt sich dabei um eine Weiterführung seines Einleitungsreferates zum von uns gemeinsam durchgeführten Kolloquium „Anthroposophische Meditation und akademische Meditatonsforschung“. Johannes Wagemann beschreibt grundlegende Strukturmerkmale, mit denen sich verschiedenste Arten von Meditation beschreiben und damit in gewisser Weise auch vergleichbar machen lassen. Neben den inneren Aktivitätsformen von Focused Attention und Open Monitoring sind ein zweites Merkmal die Schulungs- oder Bewusstseinsstufen, die eine Erweiterung des Gegenstandsbewusstseins betreffen und von Steiner als Imagination, Inspiration und Intuition bezeichnet werden – in anderen Strömungen gibt es vergleichbare Schichtungen. Als Drittes    „steht zur Debatte, an welchem Inhalt sich eine meditative Übung orientiert. Grundsätzlich ist kein Inhalt davon ausgeschlossen, zum Meditationsinhalt gemacht zu werden, wenngleich es in allen Traditionen, so auch der anthroposophischen, bestimmte Inhalte gibt, die als besonders geeignet gelten“ – wobei Wagemann hier auch Meditationsformen ohne Inhalt mit einbezieht.
Vor allem hinsichtlich des Inhaltes der Meditation nennt Wagemann einige Beispiele aus dem anthroposophischen Bereich, die sich um Übungen für Imagination, Inspiration und Intuition ergänzen ließen. Bezüglich der Aktivitätsformen Focused Attention and Open Monitoring sieht Wagemann noch Forschungsbedarf, weil Steiner diese Polarität zwar für den Erkenntnisprozess im Allgemeinen, für die Meditation aber nur selten explizit einbezieht. Im Rahmen des Instituts für anthroposophische Meditation wird an diesen Fragen intensiv weitergearbeitet.

Die Bewusstseinsstufen Imagination, Inspiration und Intuition, die Steiner seinem gesamten Meditationsweg als Struktur zugrundelegt, gelten vielen Menschen selbst bei guter Kenntnis von Steiners Werk jedenfalls für die eigene Erfahrung als unzugänglich. Bereits 2011, von uns aber leider erst jetzt bemerkt, hat Anton Kimpfler mit „Die Himmelsleiter des Erkennens. Über Imagination, Inspiration und Intuition“ ein kleines Büchlein vorgelegt, das ganz diesem Thema gewidmet ist. Wir möchten nicht beurteilen, ob dieses Büchlein auch als Einführung geeignet ist – oft nehmen solche Bücher ganz erstaunliche und völlig unabsehbare Wege. Aus eigener Erfahrung können wir aber mitteilen, dass das beim Lesen stattfindende Gespräch mit dem Autor, das Mitgehen mit seinen Übungsansätzen und Erfahrungen und der Kontext, in den Kimpfler das alles stellt, sehr ergiebig und die Lektüre ein Gewinn ist. Matthias Bideau hat das Buch im Oktober 2012 für Die Drei rezensiert.

Von akademischer Seite aus wird vor dem Hintergrund meditativer Erfahrungen die Idee des Bewusstseins und des Selbst neu bedacht. Einen Überblick über die ganze Breite des derzeitigen Spektrums kann man sich auf dem maßgeblich von dem Arzt und Leiter der Kliniken Heiligenfeld, Joachim Galuska, geprägten Kongress „Bewusstseinsforschung – Bewusstseinskultur – Bewusstseinsentwicklung“ verschaffen.
Etwas spezieller geht es zu in dem Buch „Self, No Self? Perspecitves from Analytical, Phenomenological & Indian Traditions“. Dort begründet zum Beispiel der Philosoph Galen Strawson, dass man durch Meditation zu der Einsicht kommen kann, dass das Subjekt sich im gegenwärtigen Bewusstsein selbst restlos als Objekt gewahr werden kann. Beobachter und Beobachtetes werden eins. Seit Kant ist eigentlich immer das Gegenteil behauptet worden. Für Kant kommt das Subjekt sozusagen immer zu spät auf die Bühne und findet sich dann selbst nicht mehr als Beobachter, sondern nur noch als beobachtet.    Die empirische Grundlage dieser Argumentation liegt für Strawson in der Meditation. Weiterführende Gesichtspunkte hierzu finden sich in einem ebenfalls englischsprachigen Aufsatz des Wiener Philosophen Wolfgang Fasching über „Consciousness, self-consciousness and meditation“.
Das Buch macht aber auch auf die Probleme aufmerksam, die mit Meditation als Wahrheitsquelle verbunden sind. Denn mit gleichem Recht wird sowohl für als auch gegen das ‚Wahre Selbst‘ argumentiert. Mehrfach wird die klassische buddhistische Position vom ‚Nicht-Selbst‘ vertreten, ebenso aber auch die klassische hinduistische Position, die das Selbst (Atman) als eins mit Gott (Brahman) versteht. Der Herausgeber des Buches, der Phänomenologe Da Zahavi, Direktor des dänischen Center for Subjectivity Research, ist zurückhaltender und spricht lediglich von einem ‚minimalen Subjekt‘: jede Erfahrung hat eine subjektive Komponente, die konstitutiver Bestandteil dieser Erfahrung ist. Diese Position des ‚minimalen Subjekts‘ ist mit dem ‚wahren Selbst‘ ebenso wie mit dem ‚Nicht-Selbst‘ kompatibel. – Anthroposophische Perspektiven fehlen völlig, wären aber anschlussfähig.
Auch an der Universität Witten-Herdecke ist das Gespräch zu solchen Fragen im Gange. Einen kleinen Einblick in Bezug auf Gesundheit und Krankheit bietet der von Arndt Büssing und Niko Kohls herausgegebene Sammelband „Spiritualität transdisziplinär“, den Renatus Ziegler im Märzheft der Drei besprochen hat.

Die nächsten Wochen und Monate bieten vielfältige Gelegenheiten, an Tagungen und Fortbildungen unterschiedlichster Provenienz teilzunehmen.
Gerne möchten wir Sie noch einmal auf das Tagesseminar „Meditation und Evolution“ mit Andrew Cohen, Annette Kaiser und Arthur Zajonc am 11. Mai in Basel hinweisen – hier ist nun einmal bei einem Crossover die anthroposophische Perspektive prominent vertreten. Wer sich vorab ein Bild machen möchte von den Protagonisten dieser Veranstaltung, der kann das    bei dem Anthroposophen Arthur Zajonc vielleicht am besten durch sein Buch „Aufbruch ins Unerwartete“, in dem er seinen aus der Anthroposophie in Verbindung mit anderen Traditionen entwickelten Ansatz der Meditation vorstellt (und außerdem verweisen wir auf die Links im Februar-Newsletter). Annette Kaiser hat vor kurzem über „Meditation in einer rasenden Welt“ gesprochen, und die beiden deutschen Cohen-Schüler Tom Steininger und Katrin Karneth haben sich über die fünf häufigsten Fehler in der Meditation ausgetauscht (und weiterhin sei auf das letzte Buch von Andrew Cohen „Evolutionary Enlightenment“  verwiesen). Doch ist die Meditation nur der Ausgangspunkt für das Tagesseminar; ungewöhnlicher ist die Verbindung von Meditation und Entwicklung oder Evolution, für die die drei Protagonisten dieses Tages stehen. Hierin dürfte das Besondere im Zusammenkommen dieser drei Menschen und dieses Tages bestehen. Aus der Zusammenarbeit von anthroposophischer, integraler und evolutionärer Spiritualität ist nun auch eine zweijährige Grundausbildung in integraler evolutionärer Spiritualität hervorgegangen, die im September 2013 beginnt und in der Villa Unspunnen in der Nähe von Interlaken stattfinden wird: Menschen in Spirit. Die Anthroposophie ist durch Info3-Redakteur Jens Heisterkamp vertreten.

Die anthroposophische Meditation und ihre Verbindung mit evolutionärer Lebenspraxis kann man in nächster Zeit bei drei Tagungen kennenlernen:
– In Dornach am Goetheanum gibt es im Mai ein Wochenendeseminar mit der Möglichkeit, auch den anschließenden Wochenkurs noch dazuzubuchen, bei dem Arthur Zajonc und Tho Ha Vinh mit den Teilnehmern über „Spiritualität als Zivilisationsprinzip“ arbeiten werden. 
– In Berlin wird im Rahmen der öffentlichen Tagung der anthroposophischen Gesellschaft „Mittendrin – wie wird der Geist wirksam?“ im Juni der zweite Tag dem Thema Meditation gewidmet sein. Mit dabei sind wiederum Arthur Zajonc und Tho Ha Vinh und weiterhin Bodo von Plato, Constanza Kaliks und Michael Bangert. Dazu hat Hartwig Schiller mit „Geistige Erfahrung im meditativen Erleben“ einen vorbereitenden Text geschrieben.
– In Zürich widmet sich unter dem Oberthema ‚Erkenntnis und Hellsehen‘ die diesjährige Sommertagung dem Thema ‚Nach Tod – vor Geburt‘. In den Wochenkursen ist Gelegenheit, die anthroposophische Meditation kennenzulernen.
– Für alles weitere verweisen wir auf den – jahreszeitenmäßig bedingt allerdings etwas knapperen – Veranstaltungskalender.

Zu Ostern begann wieder der alljährliche Zyklus der 52 Meditationen Rudolf Steiners, mit denen der Jahreslauf von Woche zu Woche begleitet werden kann. Eigentlich ist es erstaunlich, dass es diese sogenannten Wochensprüche bisher nur und recht selten live zu hören gibt. Nun hat ganz unprätentiös der in England lebende deutsche Künstler Kilian Voss diese 52 Sprüche des „Anthroposophischen Seelenkalenders“ eingesprochen, insbesondere für seine englischen Freunde, die die Sprüche gerne auch im Original kennenlernen und hören möchten. Aber wer weiß – vielleicht kann damit auch manch andere Gelegenheit bereichert werden.

Verabschieden möchten wir uns in diesen nun mit Macht ausschlagenden Frühling mit einem Wort aus dem bereits 1978 erschienenen Buch „Die Wahrheit tun“ von Georg Kühlewind

„Die geistige Schulung, die Konzentration, die Meditation, die Übungen bleiben manövrierende Bewegungen des Ego, im Interesse seines Bestehens und Sich-Stärkens, solange der Mensch die grundlegende Gebärde nicht kennt: die der Demut. Bis dahin ist das Üben die Vorbereitung des Ego auf die Gebärde des Sich-Demütigens. Aber wenn diese, die das Üben rechtfertigt und heiligt, nicht geschieht, so bleibt es egoistisch.
Die Gebärde der Demut ist die des Sich-Selbst-Loslassens, des Sich-Fallenlassens: eine paradoxe Gebärde, deren Kraft im Aufgeben der Kraft des Ich besteht, darin, dass das Sein des Ich getilgt wird im Interesse des wahrhaften Seins, das unvorstellbar ist, nicht zu ahnen und nicht auszudenken.“

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