Agnes Hardorp: Leben in Bewusstsein

In der Meditation findet man den Anschluss an die verschiedenen Sphären der geistigen Welt. Wir leben ständig in diesen höheren Sphären, bemerken sie aber in unserem normalen Bewusstsein nicht. Wie mit einem Fahrstuhl, durch die eigene Konzentrationskraft angetrieben, fährt man dann in der Meditation weit oder weniger weit hoch und lebt sich langsam bewusst in diese Gebiete ein. Das Bewusststeinsniveau so zu erhöhen, dass geistige Wesen Zugang dazu haben, dass man überhaupt für sie sichtbar wird in der geistigen Welt – darum geht es. Mit dieser Bewusstseinserhöhung findet gleichzeitig eine Vertiefung des Gefühls statt – man ist mehr bei sich, gefügter, in keiner Weise ‚abgehoben‘, im Gegenteil. Sobald es einem einmal gelungen ist, diesen Kontakt zu schaffen, sucht man ihn immer wieder. Wenn es einem regelmäßig gelingt, schaltet man sich auf einer anderen Ebene in das Weltgeschehen ein, man wird sozusagen höher oben ‚eingeklinkt‘.
Dadurch, dass der Wille vom tätigen Eingriff in den Leib abgehalten wird – man sitzt still, bringt alle äußere Bewegung vollkommen zur Ruhe – dadurch kann man zunächst überhaupt klarer wahrnehmen, was sich alles auf der Bewusstseinsebene abspielt. Man lernt diese Ebene in ihrer Reinheit kennen, man lernt im ‚Bewusstsein pur‘ zu leben, ohne dauernd durch den Kontakt zur Außenwelt abgelenkt zu werden. Irgendwann schafft man es dann, sich so zu sammeln und die Bewusstseinskräfte so zu steuern, dass alles durch das Nadelöhr des einen Konzentrationspunktes hindurch geht.
Bekanntlich können richtig fokussierte Lichtstrahlen durch eine Lupe ein Feuer entzünden. Es gilt nun unser Bewusstsein zu einer solchen Lupe zu machen. Erst wenn man diesen Griff beherrscht (er könnte auch ‚Ich-Griff‘ genannt werden), kann man das Bewusstesein steigern. Dieses steigert sich durch ein Hin- und Herpendeln (es kann auch ein blitzschnelles Pendeln sein) zwischen aktivem eigenen Bemühen (das man als Denkwillen bezeichnen kann) und einem passiven Sich-Hingeben an die Wesen der geistigen Welt, die nur darauf warten, helfend und führend einwirken zu dürfen. Diese geistigen Wesen können sich, das kann erlebbar werden, regelrecht in uns hinein versenken, von oben nach unten in den Leib hinein, begleitet von einer unendlich gesteigerten Ruhe, von der man dann weiß: „Das ist nicht meine Ruhe, sondern ihre.“ In dieser Ruhe fühlt man sich zum ersten Mal wirklich bei sich selbst angekommen, man ruht in sich, weiß aber gleichzeitig, dass es ein Fühlen ist dessen, was geistige Wesen durch uns hindurch fühlen. Diese tiefe Ruhe ist im Normalbewusstsein nicht möglich, wohl im Schlaf, aber da geschieht ja unbewusst, was es in der Meditation bewusst zu erreichen gilt.
Sobald ein rationaler Gedanke aus dem Alltagsbewusstsein auftaucht, wird man regelrecht aus diesem Zustand der Gnade wieder herausgerissen. Das kann wie ein Absturz erlebt werden. Wenn es aber gelingt, diesen Zustand erst kurz, dann aber länger halten zu können (Gegenstände und Meditationssätze, auf die man sich besinnt, sind ja auch nur Mittel dazu), dann fühlt man sich danach wie ausgetauscht, wie neugeboren.

Agnes Hardorp leitet regelmäßig Einführungs- und Fortführungskurse zur Meditation.
Der Text erschien 2005 in der Zeitschrift Info 3 und wurde für die Facetten gekürzt.