Hans-Christian Zehnter: Durch uns hindurch

„Die Wahrnehmung ist nichts Fertiges, Abgeschlossenes, sondern die eine Seite der totalen Wirklichkeit. Die andere Seite ist der Begriff. Der Erkenntnisakt ist die Synthese von Wahrnehmung und Begriff. Wahrnehmung und Begriff eines Dinges aber machen erst das ganze Ding aus.“
Der Begriff verleiht der wahrgenommenen Wirklichkeit erst ihre je spezifische Bedeutung. Er ist das übersinnliche Element, in dem wir das Wesen einer Sache, ihre Natur zu suchen haben. Der gesamte innere, seelisch-geistige, nicht-sinnliche Anteil der Wirklichkeit kommt im Begriff zum Ausdruck. Er leuchtet in unserer Innenwelt auf, dort, wo wir selbst übersinnlich sind.
Das Denken, ist das übersinnliche Element, das uns die Welt sinnvoll aufleuchten lässt. Ich schaue in die Welt, und mit mir schaut das Licht der Welt. Ich bin selbst ein übersinnliches Wesen, das mit der Sonne im Rücken die Welt beleuchtet. Es ist wie die Mutter mit ihrem Kind: Im Rücken von der Mutter umfangen, wird dem Kind gezeigt, was zu seiner Welt gehört.
Das Wesen der Welt ist im eigenen Innern meditativ auffindbar. „Die menschliche Innenwelt ist das Innere der Natur.“ Diese Innenwelt angesichts ihrer sinnlichen Erscheinung erhellend bewusst zu machen und auszuloten ist Zielrichtung einer wesensorientierten geistigen Forschung. Sie ist von Anbeginn auf eine meditative Vorgehensweise veranlagt: Eine erlebende Versenkung in die Wesenswelt, um diese – und damit zugleich auch sich selbst – Schritt für Schritt aufleuchten zu lassen.
In uns leuchtet das Wesen der Welt auf, nicht bloß bewusstseins-, sondern seinsmäßig. Durch uns hindurch weht der Geist der Welt. „Das mit dem Gedankeninhalt erfüllte Leben in der Wirklichkeit ist zugleich das Leben in Gott. Das bloß erschlossene, nicht zu erlebende Jenseits beruht auf einem Missverständnis derer, die glauben, dass das Diesseits den Grund seines Bestandes nicht in sich hat.“

Die Zitate entstammen Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ sowie den „Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften“

Hans-Christian Zehnter ist tätig im Rahmen von The School of Nature an der Naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum.